Herr Dr. Wagner, muss eigentlich jeder Bandscheibenvorfall operiert werden?

Dr. Wagner: Nein. Es gibt jedoch wenige Ausnahmen wie das Vorliegen (grober) neurologischer Störungen, also zum Beispiel einer Schwäche im Bein/Fuß oder sogar Störungen der Blase und/oder des Darms. Dann muss eine rasche OP in Betracht gezogen werden, um das Risiko für langfristige bleibende Schäden zu reduzieren. Dies tritt zum Glück selten auf. In den meisten Fällen äußert sich ein Bandscheibenvorfall mit Rücken und/oder Beinschmerzen. Dann sollte zunächst die konservative Therapie im Vordergrund stehen. Dadurch lässt sich glücklicherweise in den meisten Fällen eine Schmerzlinderung bis hin zur Schmerzfreiheit erreichen. Erst wenn dies über mehrere Monate hinweg nicht gelingt, muss über eine OP nachgedacht werden. Sind die Schmerzen sehr ausgeprägt, kann natürlich jederzeit früher eine OP in Erwägung gezogen werden.

Womit muss ein Patient bei einem derartigen Eingriff rechnen?

Dr. Wagner: Eine endoskopische Bandscheibenoperation ist ein Eingriff von etwa 45 Minuten, meist in Vollnarkose. Üblicherweise ist ein stationärer Aufenthalt von wenigen Tagen nötig. Viele Patienten wachen aus der Narkose auf und sind darüber erstaunt, dass sie bereits schmerzfrei sind. Nahezu ausnahmslos können diese Patienten wenige Stunden nach der OP aufstehen und die ersten Schritte gehen. In vielen Kliniken ist es üblich, nach der klassischen Operationsmethode ein starkes Schmerzmedikament anzusetzen (Opioide wie zum Beispiel Oxycodon oder ähnliches). Nach der endoskopischen Operation ist sogar teils gar kein Schmerzmedikament nötig, in den seltensten Fällen ein schwaches Opioid. Von den über 200 Patienten, die ich vergangenes Jahr endoskopisch operiert habe, kann ich mich nur an einen Patienten erinnern, dem ich ein schwaches Opioid ansetzen musste.

Kommt es nach der Operation weiterhin zu Problemen?

Dr. Wagner: Im Gegensatz zur klassischen OP-Methode haben die Patienten nach der endoskopischen Operation bereits unmittelbar nach der OP weniger Schmerzen und sind früher wieder mobil. Es gibt außerdem mehrere gute Studien, die gezeigt haben, dass die Patienten durchschnittlich deutlich früher wieder arbeiten gehen. Auch dieser Nachweis deckt sich mit meinen Ergebnissen. Ich habe kürzlich zehn willkürlich ausgewählte Patienten ein halbes Jahr nach der endoskopischen OP gefragt, wie es ihnen geht. Sie sind alle seit der OP schmerzfrei. Ein Patient davon ist übrigens am dritten Tag nach der Operation wieder vollzeit arbeiten gegangen. Auch wenn die Methode noch wenig verbreitet ist, so gibt es keinen Haken daran; es gibt keine wissenschaftlich nachgewiesenen Nachteile gegenüber der klassischen Operationsmethode, jedoch offensichtlich einige Vorteile.

Wieso endoskopisch? Worin liegen die Vorteile?

Dr. Wagner: Bei der klassischen OP-Methode wird ein deutlicher Schaden auf dem Weg zur Problemstelle (zum Beispiel Bandscheibenvorfall) angerichtet, zum Beispiel Muskulatur durchtrennt. Die endoskopische Methode ist demgegenüber sehr gewebeschonend. Muskulatur wird lediglich ganz umschrieben auseinandergespreizt. Dadurch entstehen verschiedenste Vorteile: Aufstehen bereits am OP-Tag möglich, unmittelbar nach der OP weniger Schmerzen bzw. Schmerzmittelbedarf; früher wieder belastbar und damit früher arbeitsfähig. Und langfristig besteht kein wesentliches Risiko für chronische, durch die OP bedingte Rückenschmerzen, die schlimmstenfalls mit einer Versteifung behandelt werden müssen.

Kann man alle Bandscheibenvorfälle endoskopisch operieren?

Dr. Wagner: Leider hält sich selbst unter Wirbelsäulenchirurgen noch der Irrglaube, dass man angeblich nur etwa 20 Prozent endoskopisch operieren kann. Unter anderem aufgrund des technischen Fortschrittes herrscht unter Endoskopie- Experten der Konsens, dass mindestens etwa 70 Prozent der Bandscheibenoperationen endoskopisch möglich sind. Ich habe zuletzt sogar deutlich über 80 Prozent der Bandscheibenvorfälle endoskopisch operiert.


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